Sie soll wieder Licht sehen

Shiurim und Geschichten

Sie soll wieder Licht sehen

- Dr. Blair P. Grubb
Zielgruppen
6-11 Jahre
12-14 Jahre
über 15 Jahren

Vor einigen Jahren kontaktierte mich ein französischer Arzt. Seine Enkeltochter war an einem seltenen Leiden schwer erkrankt und die Ärzte wussten sich keinen Rat. Der Arzt rief mich an, nachdem er einige meiner Artikel über die Fehlfunktionen des autonomen Nervensystems gelesen hatte. Die Symptome seiner Enkeltochter hatten Ähnlichkeit mit denen in meinen Artikeln, und er bat mich um Hilfe. Ich war sofort einverstanden, und über mehrere Monate hinweg arbeitete ich per Telefon und Fax mit den französischen Ärzten des Mädchens zusammen. Zuletzt stellten wir eine Diagnose und ich verordnete eine Therapie. In den nächsten Wochen erholte sich das Mädchen rasch. Die Großeltern waren außer sich vor Glück und sprachen von einem Wunder. Sie dankten mir von Herzen und luden mich ein, sie zu besuchen, sollte ich einmal in Frankreich sein. 

 

Im Sommer 1996 war ich auf einen internationalen Kongress in Nizza, Frankreich eingeladen. Ich meldete mich bei dem Arzt, dessen Enkeltochter ich vor Jahren geholfen hatte. Er war sehr erfreut über meinen Anruf und lud mich sofort zum Dinner bei sich zu Hause ein. 

 

Der Arzt holte mich vom Hotel ab und wir fuhren durch die wunderschöne Landschaft Südfrankreichs zu seinem Anwesen auf dem Land. Während der Fahrt erzählte er mir, dass seine Frau Brustkrebs hatte und große Schmerzen litt, aber darauf bestanden hatte, mich zu sehen. Als ich ihr vorgestellt wurde, sah ich eine Frau, die trotz der schweren Krankheit ihre Schönheit und Eleganz nicht verloren hatte. 

 

Nach dem Abendessen saßen wir in der Bibliothek des Hauses aus dem 17. Jahrhundert, schlürften Cognac und unterhielten uns in einer Mischung aus Englisch, Französisch und Spanisch. 

 

Nach einer Weile fragte mich die Dame des Hauses: „Mein Mann sagt, sie seien jüdisch?“ 

 

„Ja, das stimmt, ich bin Jude“, antwortete ich. Sie bat mich über die jüdischen Feiertage zu erzählen. Besonders an Chanukka schien sie interessiert. Ich tat mein Bestes, um den beiden die jüdischen Feiertage zu erklären, und war erstaunt, wie wenig sie über das Judentum wussten. Nachdem ich fertig war, sah die Dame mir in die Augen und sagte mit ernster Stimme: „Ich habe etwas, dass ich ihnen geben möchte.“ 

 

Sie verschwand und kehrte mit einem Gegenstand zurück, der in Stoff gewickelt war. Sie setzte sich wieder, sah mich mit müden Augen an und sprach leise, als wolle sie, dass nur ich es hörte: 

 

„Als ich ein achtjähriges Mädchen war, es war während des 2. Weltkriegs, kamen die Obrigkeiten in unseren Ort, um alle Juden aufzulisten. Meine damalige beste Freundin war in meinem Alter und hieß Jeanette. Als ich eines morgens zu ihr zum Spielen kam, sah ich, wie sie und ihre Familie mit Waffengewalt in einen Lastwagen gedrängt wurden. Ich rannte heim und erzählte es meiner Mutter. „Keine Sorge, mein Kind“, beruhigte mich meine Mutter. „Jeanette kommt bald wieder zurück.“ 

 

Ich rannte zu Jeanettes Haus und sah dort die Dorfbewohner, die Wertsachen und Möbel aus dem Haus in ihre eigenen Häuser trugen. Außer den religiösen Gegenständen. Die warfen sie auf die Straße. Als ich näher kam, sah ich einen Gegenstand aus Jeanettes Haus im Dreck liegen. Ich hob ihn auf und stellte fest, dass es ein Leuchter war, den Jeanette und ihre Eltern immer um Weihnachten herum anzuzünden pflegten. In meinem kleinen Herzen dachte ich mir, ich werde ihn mitnehmen und ihn Jeanette zurückgeben, wenn sie wiederkommt. Aber sie und ihre Familie kehrten nie mehr zurück.“ 

 

Sie machte eine Pause und nahm einen Schluck Brandy. „Seitdem habe ich den Leuchter behalten. Ich versteckte ihn vor meinen Eltern und erzählte niemandem davon. In den letzten 50 Jahren wusste nur mein Mann von seiner Existenz. Als ich erfuhr, was mit den Juden geschehen war und wie viele von uns mit den Nazis kollaboriert hatten, musste ich den Leuchter immer wieder ansehen. Aber ich ließ ihn versteckt und wartete, dass irgendetwas geschah - ich weiß nicht genau was. Jetzt weiß ich, worauf ich gewartet habe. Ich habe auf Sie gewartet, einen Juden, der unsere Enkeltochter geheilt hat - Ihnen möchte ich den Leuchter anvertrauen.“

 

Ihre zitternden Hände legten das Paket in meinen Schoß. Vorsichtig wickelte ich es aus. Innen lag eine Chanukkia. Sie hatte acht Schalen für das Öl und die Dochte und ein neuntes erhöhtes Schälchen für den Schamasch. Oben hatte die Chanukkia einen Ring und die Frau des Arztes konnte sich erinnern, dass Jeanettes Eltern die Chanukkia immer an diesem Ring in ihrem Wohnzimmer aufgehängt hatten. 

 

Die Chanukkia schien sehr alt zu sein, und später klärte man mich darüber auf, dass sie mindestens 100 Jahre alt sein musste. Als ich sie in den Händen hielt und verstand, wofür die Chanukkia stand, musste ich weinen. Ich konnte nur noch „Merci“ stammeln, bevor ich ging. Ihre letzten Worte waren: „Il faudra voir la lumiere encore une fois – Sie muss noch einmal Licht sehen.“ 

 

Später erfuhr ich, dass die Dame einen Monat nach unserem Treffen verstorben war. An diesem Chanukka wird die alte Chanukkia wieder Licht sehen. Nämlich an Chanukka, wenn ich gemeinsam mit meiner Familie die Kerzen darin anzünden werde. Wir werden für sie und für die Menschen, für die sie steht, ein besonderes Gebet sagen und ihr Licht nie wieder verlöschen lassen. 

 

Aus dem Englischen übersetzt von Iris Elkabets-Rosen Quelle: www. bneiakiva.net

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