Nachum Hoch erzählt von Birkenau

Shiurim und Geschichten

Nachum Hoch erzählt von Birkenau

Zielgruppen
12-14 Jahre
über 15 Jahren

„Drei Tage vor Simchat Thora wurden wir aus dem Kinderblock zum Waschen geholt. Unsere Kleider wurden desinfiziert, dann kamen wir wieder in den Block zurück.

Am nächsten Tag war Appell in den Lagern. Als wir draußen standen, erschienen SS-Leute mit Maschinenpistolen, umzingelten uns und führten uns in die Blocks 11 und 13 oder 9 und 11. Dort hielt man uns zwei Tage lang eingeschlossen, ohne dass wir etwas zu essen erhalten hätten. Wir waren nun vier oder fünf Monate in Birkenau und wussten daher genau, was das zu bedeuten hat. Bei der ersten Selektion hatten wir noch geglaubt, dass man die Kinder zur Arbeit brachte; aber beim zweiten Mal wussten wir schon Bescheid, denn wieder wurden die Kinder in den Block 11 und 13 eingeschlossen.

Für uns gab es daher keinen Zweifel mehr, als man uns jetzt in diese Blocks sperrte.

Es handelte sich nämlich um die berüchtigten Quarantäneblocks, von denen aus die Menschen sofort in die Krematorien gebracht wurden.

Am Abend des zweiten Tags, am Vorabend von Simchat Thora, fingen einige unter uns – wir waren ungefähr tausend Kinder im Alter von vierzehn bis sechzehn Jahren – an, einen Ausbruch zu planen, obwohl uns klar war, dass es nur demonstrativen Charakter haben könnte.

Da der Block an beiden Seiten zugeschlossen war und zwei Wachen davor standen, verabredeten wir, dass ein Junge versuchen sollte, auf einen Pfosten in der Nähe der Fenster zu klettern, um die Wache auf ihn aufmerksam zu machen. Wenn die Wachen dann hereinkamen, sollten einige Jungen auf die unbewachte Tür zustürmen und ausbrechen.

 

Wir hatten keine Waffen und wussten, dass es ein hoffnungsloses Beginnen war. Aber es sollte ja vor allem eine Demonstration sein. Wir schlossen allerdings die Möglichkeit nicht aus, dass wenigstens einige von uns gerettet werden konnten.

Um Mitternacht führten wir den Plan aus. Es geschah alles so, wie wir geplant hatten. Sobald der Junge versuchte, den Pfosten zu erklimmen, kam eine der Wachen, um ihn wieder herunter zu holen, und eine Gruppe von Jungen stürzte in diesem Augenblick zur Tür. Sofort kam die zweite Wache von der zweiten Tür gelaufen, um den Ausbruch an der ersten zu verhindern. In diesem Moment machten wir an der zweiten Tür den Ausbruch.

Es war Nacht. Einige von uns verschwanden zwischen den Baracken, andere verkrochen sich in der Latrine. Ich versteckte mich zwischen einem Ofen und dem Dach des Badehauses.

Am nächsten Morgen war von vier Uhr an Lagersperre, bis sie uns alle wieder eingefangen und in die Blocks zurückgebracht hatten. Mittag brachte man uns zwei Kübel mit gekochten Kartoffeln und zwei Kübel mit Borschtsuppe. Wir hatten drei Tage lang nichts gegessen.

Trotzdem schütteten drei von den Kindern, die den Ausbruch geplant hatten, in Anwesenheit des Lagerkommandanten den Inhalt der Kübel auf den Boden. Wie damals, so glaubte ich auch heute noch, dass man uns nur täuschen wollte. Es war nämlich üblich, dass diejenigen, die in ein anderes Lager gebracht werden sollten, vorher noch besseres Essen vorgesetzt erhielten. Wir sollten also auch glauben, dass wir in ein anderes Lager kämen. Als uns der Lagerkommandant verlassen hatte, stürzten wir uns auf das verschüttete Essen. Denn auch der Hungerstreik hatte ja nur den Zweck, zu beweisen, dass wir uns nicht täuschen ließen, dass wir genau wussten, was uns erwartete.

 

Einige Stunden vergingen. Dann öffnete sich die Tür, und man teilte uns mit, dass wir frei seien. Wir rannten aus dem Block heraus. Aber sobald wir die Baracken verlassen hatten, wurden wir wieder von SS-Leuten mit Maschinenpistolen umzingelt. Sie kamen von allen Seiten heran, stellten uns in Fünferreihen auf und führten uns aus dem Lager hinaus in Richtung auf die Krematorien. Als wir das merkten blieben wir stehen und weigerten uns weiterzugehen, bis zum Tor des Krematoriums 3. Um dieses Krematorium lief ein Bretterzaun, der so hoch war, dass man nicht hinüber sehen konnte. Wieder weigerten wir uns weiterzugehen, und wieder schossen sie auf unsere Füße. Wir mussten hinein. Jetzt befanden wir uns in einer Halle, die wie eine Badeanstalt aussah. An der Wand waren Haken befestigt, jeder mit einer Nummer versehen.

 

Wir sollten uns ausziehen, unsere Kleider auf die Haken hängen und uns die Nummer merken, angeblich damit wir die Kleider später wieder fänden. Wieder weigerten wir uns, aber es half nichts, sofort schossen sie wieder. Schließlich warfen wir unsere Sachen einfach in die Mitte des Raumes. Dann mussten wir wieder in Fünferreihen antreten. Ich weiß es noch, als wäre es erst heute geschehen. Einer der Leute vom Sonderkommando rief uns zu: „Jungens, zeigt ihnen nicht, dass ihr Angst habt. Singt!“ Wir waren wie erstarrt und konnten kein Wort herausbringen. Dann fingen ein paar an ein Gebet zu sprechen, wieder andere sangen. Nun führte man uns in einen Vorraum, öffnete eine große Tür hinter uns, und in diesem Augenblick hörte ich das erste Mal einige von uns weinen.

Nach einiger Zeit – ich weiß nicht mehr, ob es Minuten oder Sekunden waren – ging die Tür zur Halle wieder auf, und man befahl uns herauszukommen.

Dort stand der SS-Kommandant – ein großer Mann, ich glaube, es war Hoess – und rief den ersten Jungen in der Reihe zu sich, befühlte seine Muskeln, ließ ihn zehn Kniebeugen machen und danach zur Wand und wieder zurück rennen. Dann schickte er ihn nach rechts auf die Seite. Den nächsten Jungen fragte er nach seinem Alter.

Der Junge antwortete: „Beinah hundert!“

Darauf der Kommandant: „Du Schwein, ist das eine Art, mit mir zu reden? Du wirst sofort wieder dort hineingeschickt.“

Der dritte Junge war ich. Ich war wie erstarrt und sah ihn nur an. Er befahl mir auch, Kniebeugen zu machen, zur Wand und wieder zurück zu rennen, und dann schickte er auch mich nach rechts.“

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