Der Nachbar des Bescht
Eines Tages wollte der Baal Schem Tov, der BESCHT, vom lieben G’tt wissen, wer sein Nachbar sein wird, in der kommenden Welt.
Also schloss er die Augen und hörte auf sein Herz und plötzlich sah er vor seinen Augen ein kleines Dorf und ein kleines Haus mit einem roten Dach und einem grünen Zaun. Und davor stand ein großer Mann.
Der Bescht ließ die Pferde anspannen und befahl dem Kutscher loszufahren. Als sie in dem kleinen und fernen Dorf ankamen, war es schon spät am Abend. Der Bescht ließ anhalten und fragte nach einem Zaddik namens Gedalja. Als Antwort bekam er zu hören, dass es zwar einen Gedalja gab, doch war dieser Kohlenschipper und bei weitem kein Zaddik!
Sie fuhren vor das kleine Haus mit dem roten Dach und dem grünen Zaun. Der Bescht stieg aus und klopfte an der Tür. Ein großer und sehr dicker Mann mit einem roten Gesicht öffnete die Tür. „Was wollt ihr?“, fragte er mit einer dröhnenden Stimme. „Wisst ihr nicht, wie spät es ist?“
Der Bescht war über solch einen unfreundlichen Empfang erstaunt, sagte aber nichts.
„Was wollt ihr?“, fragte der Riese. Der Bescht fragte den großen, rotgesichtigen Mann, ob er bei diesem übernachten könne, da es schon zu spät sei, um bis nach Hause zu fahren.
Der Mann schüttelte den Kopf. Der Bescht bot ihm Geld an. „Wie viel Kopeken wollt ihr für eine Übernachtung?“, fragte er. Der Mann namens Gedalja dachte nach und erwiderte: Ich habe nur ein Bett und außerdem bin ich keine Herberge. Der Bescht ließ nicht locker und sagte, dass er bereit sei, neben dem Ofen zu schlafen. Zu guter Letzt einigten sie sich und der Bescht zählte ihm die Münzen in der Hand.
Der Bescht lag schon neben dem Ofen und war gespannt, was nun geschehen würde. Ein großer Zaddik ist dieser Mann bestimmt, wie könnte er sonst sein Nachbar werden im künftigen Leben. Als der Morgen dämmerte, hörte der Bescht Gedalja aufstehen. „Nu“, dachte der Bescht, „wahrscheinlich wird er nun sein Morgengebet verrichten.“ Doch ganz im Gegenteil. Gedalja kam direkt in die Küche, setzte sich an den Ofen und begann ein Brot aufzuschneiden und es mit einer dünnen Graupensuppe zu essen.
„Kein Gebet, kein Händewaschen“, dachte der Bescht, „vielleicht ein Tischgebet nach der Mahlzeit.“ Doch auch diesmal wurde er enttäuscht. Keine Bracha, kein Dank- nichts! Der Mann aß und aß und schlang das Essen nur so in sich hinein. Dann trat er vor die Tür und ging zur Arbeit.
Der Bescht war verwundert und dachte bei sich, dass er dies nicht einfach so auf sich beruhen lassen könnte. Er beschloss eine weitere Nacht bei dem Mann, der sein Nachbar in der kommenden Welt sein würde, zu verbringen.
Als Gedalja von der Arbeit zurückkam, war er erstaunt, immer noch den alten Juden im Haus zu sehen. „Wir hatten ausgemacht eine Nacht“, brummelte er, „Warum seid ihr immer noch da?“
„Meine Kutsche ist kaputt“, antwortete der Berscht. „Morgen wird sie repariert sein. Lasst mich noch eine Nacht bei euch schlafen, Reb Gedalja.“
Gedalja lachte so laut, dass der Berscht erschrak. „Ein Rebbe bin ich nicht, nur Gedalja der Kohlenschipper. Eine weitere Nacht wird aber mehr kosten.“
„Kein Problem“, erwiderte der Berscht und zählte ihm den gewünschten Betrag in die Hand.
Sie setzten sich zu Tisch und wieder kein Händewaschen, keine Bracha, nur ein immer währendes Verschlingen, Kauen und Kauen. Da konnte sich der Bescht nicht mehr halten und polterte los. „Ihr seid doch ein Jude. Es ist eine Mizwa eine Bracha über das Brot zu machen, ein Tischgebet danach zu sprechen. Wenn man morgens aufsteht legt man die Tfillin an und spricht das Morgengebet und bei zu Bett gehen spricht man das Schma. Ihr aber, Gedalja der Kohlenschipper, benehmt euch wie ein Goi!“
Gedalja senkte den Kopf, dann begann er leise zu sprechen und sagte:
„Als ich ein kleiner Junge war, mein Vater war ein Lumpenhändler, wanderten wir von Dorf zu Dorf, um die Schmattes zu verkaufen. Eines Tages aber wurden wir von drei Kosaken angehalten, die meinen Vater zwangen, ein Kreuz zu küssen. Doch mein Vater sagte Nein. Da schlugen ihn die Kosaken und forderten ihn wieder auf, dieses Kreuz zu küssen. Doch mein Vater weigerte sich und sagte: „Ich bin zwar ein Schmatteshändler, aber ich bin keine Schmatte!!!“
Zum Schluss hängten die Kosaken meinen Vater an einem Baum auf und verbrannten ihn.
Von diesem Tag an schwor ich mir zu essen und zu essen, zu essen und zu essen. Damit, wenn mich eines Tages die Kosaken anhalten und anzünden werden, mein Licht so weit leuchten wird, bis zum Ende der Welt, damit jeder sehen wird, dass schon wieder ein Jude verbrannt wird. Und nicht nur ein kleines Licht, wie mein Vater, mein guter, g’ttesfürchtiger und schmächtiger Vater, dessen Licht sofort verlosch.“
Der Bescht saß vor seinen Schülern und sprach: „Nur weiß ich nicht, mit was ich es verdient habe, sein Nachbar zu werden!“