9. November: Brennende Synagoge am Börneplatz
Nach dem Attentat von Herschel Grynszpan auf den Legationssekretär Ernst von Rath in Paris ordnete Joseph Goebbels ein Massenpogrom an, bei dessen „spontanem“ Ablauf die Polizei nicht einschreiten durfte. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden 91 Menschen ermordet, 191 Synagogen durch Brandstiftung zerstört, rund 7.500 jüdische Geschäfte geplündert, unzählige Wohnungen und fast alle jüdischen Friedhöfe verwüstet. Es entstand ein Sachschaden von etwa 25 Millionen Reichsmark, an die 30.000 jüdische Männer wurden in Konzentrationslager-Haft genommen. In Frankfurt am Main brannten die Synagogen am Börneplatz und Friedberger Anlage sowie im Großen Wollgraben und in der Schlossstrasse nieder. Zahlreiche jüdische Männer wurden von der Festhalle aus in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald deportiert.
Alice Oppenheimer in FAZ vom 6.11.2005 (geschrieben 1963 bis 1965):
„Am 7. November 1938 war das Attentat des „Juden Grynszpan“ auf Herrn von Rath in Paris. Von dem Augenblick an war die Atmosphäre in Deutschland zum Schneiden. Man fühlte ein Gewitter aufziehen, man wusste nicht, ob sich die Entladung des Unwetters über alle Juden oder einzelne Gemeinden auslassen würde.
Am 9. November 1938 war die Beerdigung von Herrn von Rath. In diesem Augenblick schien der Judenhass ins Unermessliche zu wachsen. Abends, es mochte halb zehn Uhr sein, klopfte unser Hausmeister an die Türe; herein in die Wohnung kam er nicht, das war unter seiner Ehre.
„Ich wollte nur sagen“, fing er an, „reisen sie sofort aus Deutschland heraus. Die Angelegenheit mit Herrn von Rath steht nicht gut für sie alle!“ – Verschwunden war er wieder... Am nächsten Morgen, es war ein Donnerstag, hörten wir ab fünf Uhr morgens dauernd Feuerwehren fahren. Wir wohnten in Frankfurt am Main, Friedberger Anlage 22. Auch die Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft war nicht weit von der Friedberger Anlage. Uns fiel auf, wie langsam die Feuerwehren fuhren.“
Julius Meyer in Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945 (geschrieben 1940):
„Am Abend des 9. November soll ich in die Vertreterversammlung der Israelitischen Gemeinde als Mitglied eingeführt werden, mit mir Ernst Marbach. Der greise Vorsitzende des Gemeindevorstandes (Dr. Julius Blau A.d.R.) begrüßt uns vor der Sitzung. Er ist ergriffen und erregt, denn vor einigen Minuten sind Alarmnachrichten eingegangen. Jungen von den jüdischen Landheimen und Arbeitslagern aus den umliegenden Bezirken sind zu uns gekommen, geflüchtet; ihre Häuser sind von den Bauern gestürmt und zerstört worden, die Insassen der Häuser sind verjagt worden. Was bedeutet das? Sind es Einzelaktionen, die man später als Ausschreitungen unverantwortlicher Leute hinstellen wird? Im Laufe des Abends häufen sich die Nachrichten über solche Taten. Die Sitzung behandelt Gegenstände wie in schönen Friedenszeiten. Nur ein paar Herren vom Vorstand ist es anzusehen, dass draußen ab und zu Alarmnachrichten eingehen. Dr. Blau sitzt während des gesamten Abends sinnend auf seinem Platz. Er ahnt, oder weiß, was kommt. Die Sitzung geht zu Ende. Hugo Hoffman nimmt mich in seinem Wagen mit. Wir fahren über den Opernplatz. Hier ist eine Versammlung der SS vor dem Opernhaus, der Platz ist abgedunkelt. Man sagt uns, es sei eine Trauerkundgebung für den ermordeten Gesandtschaftsrat.“
Herbert N Kruskal in Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945 (geschrieben 1961):
„Am Morgen des 10. November fuhren mein Vater und ich mit der Linie 6 nach der Synagoge Friedberger Anlage. Als wir aus der Bahn ausstiegen, am Uhrtürmchen, kam Hugo Bondi, Mitglied des Synagogenkomitees, auf uns zu: „Meine Herren, gehen sie nach Hause, die Synagoge brennt.“ Wir gingen trotzdem durch die Anlage bis gegenüber der Synagoge. Sie brannte. Die Türen waren weit auf, und innen brannte es. Es drang nicht in mich, dass der große Tag der „Kristallnacht“ und des Pogroms gekommen war. Ich glaubte, es sei der verbrecherische Anschlag Einzelner.
Wir fuhren zur Unterlindau Synagoge (Synagoge Unterlindau 23, in der auch eine Religionsschule untergebracht war. A.d.R.). Diese stand zwischen anderen Häusern, nicht wie auf dem Börneplatz und Friedberger Anlage, die auf freiem Platz oder in einem Hof gebaut waren. Wir kamen noch zum Anfang, denn in der Unterlindau betete man später als in der Friedberger Anlage oder am Börneplatz. Uniformierte Nazis kamen herein und wollten alle Anwesenden mitnehmen. Mein Vater zeigte seinen englischen Pass und ich meinen holländischen Pass, und die Nazis forderten alle auf, schleunigst nach Hause zu gehen, man nahm keinen mit. Damals respektierte man noch westeuropäische Auslandspässe und wollte Verwicklungen vermeiden.“
Quelle Jüdische Gemeindezeitung Frankfurt, Dezember 2005
Aus dem Bericht des Stadtarchivdirektors über die Zerstörungen im Haus der Jüdischen Gemeindeverwaltung in der Fahrgasse 146. In Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945 (geschrieben am 12.11.1938):
„Am 10. November gegen zwölf mittags rief mich Herr Oberinspektor Richter im Auftrag von Herrn Professor Dr. Oehler an und teilte mir mit, dass ich auf Anordnung des Herrn Oberbürgermeisters sofort alle Maßnahmen zu treffen hätte, um die jüdischen Gemeindearchivalien sicherzustellen. Ich begab mich sofort mit fünf Mann in die Fahrgasse, wo ich das wüsteste Durcheinander vorfand: zerbrochene Scheiben, eingeschlagene Türen, geschlitzte Gemälde, zertrümmerte Schaukästen, Akten und Bücher in wildem Haufen auf der Erde verstreut usw. Sämtliche Fenster des Erdgeschosses hatten keine Scheiben mehr, die Eingangstür war eingeschlagen und konnte nicht mehr verschlossen werden. Unter diesen Umständen konnte nur eine Sicherung des gesamten schriftlichen Materials in Frage kommen, da über das Schicksal des Gebäudes und die Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes darin nichts ermittelt werden konnte.“